AUGENHÖHEcamp Hamburg

'Lasst uns weiter mutig sein'

Keinen Bock mehr auf klassische Führung? Command and Control sind am Ende? 60 Personen, die in Sachen Führung und Personalentwicklung nicht länger mehr vom Selben machen wollen, trafen sich Anfang Juli zum AUGENHÖHEcamp in Hamburg-Barmbek. managerSeminare war dabei, als Vertreter kleiner wie großer Unternehmen sowie Berater über die neue Arbeitswelt diskutierten. Die Stimmung war locker, aber nachdenklich, die Fragen hatten es in sich.

In Hamburg kommt die Sonne heraus, Silke entscheidet sich, ihre Session draußen abzuhalten. Da ist auch mehr Platz, und Platz brauchen wir. Unser Thema lautet: Organisation der Selbstorganisation. Silke lädt die Gruppe zur Übung ein: „Jeder sucht sich zwei Partner, die er aber nicht benennt und denen er sich auch nicht zu erkennen gibt. Dann stellt ihr euch alle so auf, dass ihr jeweils zusammen mit Euren zwei Partnern ein gleichseitiges Dreieck bildet.“ Die Gruppe redet nicht, sondern handelt. Jeder bringt sich in Position, die jeweiligen Partner im Blick: zwei Schritte vor, drei zur Seite, rückwärts, vorwärts. Passt, die Gruppe steht.

Zweite Übung: Jemand wird zur Führungskraft erklärt und soll uns so aufstellen wie zuvor beschrieben. Jetzt dürfen wir unsere Partner bekannt geben. Die Führungskraft überlegt, probiert aus, schiebt uns hin und her. Und... : scheitert. Ein eindrückliches Beispiel für die Überlegenheit von Selbstorganisation. „Dabei war die Aufgabe nicht mal komplex, sondern nur kompliziert“, resümiert Silke. Silke ist Silke Luinstra und eine der Initiatoren von AUGENHÖHE, den beiden Dokumentationsfilmen zur neuen Arbeitswelt. Heute ist sie neben drei weiteren Beratern Gastgeberin des AUGENHÖHEcamps in Hamburg. Ihr Experiment bringt uns ins Grübeln: Eine klare Ansage reichte aus, wir kannten unsere Aufgabe und lösten sie mit Blick auf die Partner. Nicht einmal das Ergebnis haben wir kontrolliert. Wir hatten Vertrauen in uns und unsere Kollegen. „Selbstorganisation setzt die Annahme voraus, dass jeder in bester Absicht handelt“, erklärt Silke.

Nicht alle Sessions der anfangs etwa 30 gesammelten sind derart erhellend. Manche finden gar nicht erst statt, weil sich dann doch niemand einfindet, andere kommen im Laufe des Tages noch hinzu. Wir sind 60 Personen und bunt in der Zusammensetzung. Vertreter großer Unternehmen, Vertreter kleiner Unternehmen, selbstständige Berater, interne Berater, Personalentwickler, Führungskräfte, Inhaber ... Allen gemein ist das Unbehagen mit der aktuell praktizierten Führung. Aus unterschiedlichen Gründen: Die einen haben schlichtweg keine Lust mehr, weiter so zu arbeiten und so zu leben wie bislang, andere fürchten um ihren Job, um die Zukunftsfähigkeit ihrer Unternehmungen.

Selbstorganisation ist dabei ein Schlüsselwort, sie praktizieren wir an diesem Tag in Reinform. Das Camp gibt den Rahmen, es ist ein eigenes Format mit Elementen aus Barcamps und Open Space. Es gibt einen großen Raum, Prinzipien aus der OpenSpace-Technologie hängen an den Wänden: „Wer immer kommt, ist der richtige“ oder „Was immer geschieht, ist das einzige, was passieren kann“. Jeder, der will, schlägt sein Thema vor, sucht sich eine Ecke im Raum und eine Zeit aus. Dabei sind Experten, die ihr Wissen teilen wollen ebenso wie Hilfesuchende, die Fragen haben, sich austauschen wollen, Bestätigung suchen oder Kraft tanken wollen. Pausen gibt es nicht oder immer. Wie jeder will.

Im Vergleich zur Veranstaltung vor zwei Jahren, bei dem ersten AUGENHÖHEcamp in Hamburg, das erste überhaupt, ist die Stimmung ruhig. „Viel stiller, nachdenklicher“, resümiert Silke im Nachgang. Damals fanden sich die Pioniere und Experimentierfreudigen ein, Headlines etwa waren „Alle nackt, alle Hippie?“, jetzt haben wir Titel wie „New Work ist scheiße“, „Disziplinarische Führung: Wie wenig braucht man noch?“ oder „Nicht mit dem System am Menschen arbeiten, sondern mit den Menschen am System arbeiten“.

Fragen über Fragen schwirren durch den Raum: Was passiert, wenn die Marginalisierung der HR-Funktion voranschreitet? Was braucht es noch an zentralen Dienstleistungen, wenn die HR-Funktion in die Fläche geht? Wie kann man unter operativem Druck Selbstorganisation fördern? Lässt sich Kultur einführen? Es wird über den Wert von Widerstand diskutiert ebenso wie über die Verletzungen, die damit einhergehen, wenn Führungskräfte gewählt, formale Hierarchien aufgehoben werden, Führung fluide wird. „Mit der Abschaffung von Führungspositionen stellst du die Lebensleistung von Menschen in Frage“, sagt Silke.

Viele nachdenkenswerte Sätze fallen in Hamburg, etwa der, den Bernd Oestereich auf einer Postkarte dabei hat: „Führung ist zu wichtig, um sie nur Führungskräften zu überlassen.“ Oestereich ist einer von denen, der viel Erfahrung hat mit der neuen Arbeitswelt. 1998 gründete er die oose Innovative Informatik, war 12 Jahre deren Geschäftsführer, danach mitarbeitender Mehrheitsgesellschafter, 2012 initiierte er die Reorganisation in ein kollegial-selbstorganisiertes Unternehmen und verkaufte es 2014 an die Mitarbeiter. Jetzt ist er als Berater unterwegs und teilt in Hamburg seine Erfahrungen zu einer „kollegialen Führung“: „Es geht nicht darum, generell Führung abzuschaffen, sondern um die Abschaffung von unpassender Führung.“ Nach seiner Vorstellung werden Einweg-Führungskräfte gewählt – für einzelne Themen, in denen sie als kompetent wahrgenommen werden - , das Kollektiv entscheidet, wer entscheidet.

Gedanken wie diese wirken nach. Teils ist die Irritation mancher Teilnehmer mit Händen greifbar. Das ist Herausforderung wie Gewinn eines Formats wie dem AUGENHÖHEcamp. Die Teilnehmer sind höchst unterschiedlich in ihrem Vorwissen. Manche haben Frederic Laloux gelesen, alle AUGENHÖHE-Filme gesehen und kennen die Strategien und Umsetzungen von Firmen wie oose und allsafe Jungfalk, die niemals fehlenden Vorreiterfirmen in Sachen neue Arbeitswelt, aus dem Eff-Eff. Und daneben stehen die, die fragen: Was genau ist Design Thinking? Und wer ist Daniel Pink? Nicht immer ist man sicher, ob alle das Gleiche meinen, wenn über Agilität und New Work geredet wird.

Die Stimmung ist trotz aller Schwergewichtigkeit locker und gelöst. Die vor zwei Jahren spürbare Radikalität aus den Themen Führung und Augenhöhe ist jetzt raus, möchte man meinen nach diesem Camp. Sie weicht grundsätzlicheren Fragen: Wie wollen wir arbeiten und leben? Wie bewältigen wir die Herausforderungen der Zukunft? So, dass es menschengerecht, aber auch ökonomisch sinnvoll ist? Silke verrät mir am Folgetag das für sie schönste Statement aus der Abschlussrunde: „Lasst uns weiter mutig sein“. Dem ist nichts hinzuzufügen.

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Fotoquellen: Alexander Krause/Nicole Bußmann *****



Wer sich nochmal die AUGENHÖHE-Filme anschauen will: Der erste Film, mit dem alles begann, hatte am am 30. Januar 2015 Premiere, ebenfalls im Museum der Arbeit, wo jetzt das Camp stattfand. Ein Jahr später erschien der zweite Film.

Wer sich für die vergangenen AUGENHÖHEcamps interessiert: _ Hamburg 2015 _ Hamburg 2016

20.07.2017
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