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Debatte über BPM-Thesenpapier

Wie wird schlechte Führung gut?

Nachdem der Coach Martin Wehrle im Herbst 2012 mit seinem Vorschlag, einen Führerschein für Führungskräfte einzuführen, Wellen geschlagen hat, hat der Bundesverband der Personalmanager zur Jahreswende die zweite Runde in der Debatte über fehlende Führungsqualität eröffnet. Er hat ein Positionspapier mit zehn Thesen über die Ursachen des deutschen Führungsdefizits vorgelegt. Dafür gab es viel Zustimmung, aber auch Kritik.

Auslöser für das Positionspapier, mit dem sich der Bundesverband der Personalmanager (BPM), Berlin, zum Thema Führungsqualität zu Wort gemeldet hat, war der Casus ThyssenKrupp. Vorstand und Aufsichtsrat des Unternehmens standen wegen Korruptionsvorwürfen und Milliardenverlusten in der Kritik. Aus BPM-Sicht sind derartige Vorfälle indes nur die Spitze des Eisbergs. 'Studien und Mitarbeiterbefragungen belegen, dass es in vielen Firmen enorme Defizite in der Führungsleistung gibt', sagt Alexander Cisik. Der Professor für Wirtschafts-, Organisations- und Arbeitspsychologie von der Hochschule Niederrhein in Mönchen­gladbach hat gemeinsam mit Verbandspräsident Joachim Sauer das BPM-Positionspapier ausgearbeitet. Das Ziel, so Sauer: 'Wir wollen die Diskussion über die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, die sich oft nur um die Höhe der Lohnkosten oder den Fachkräftemangel dreht, um das bislang zu selten beachtete Thema Führung ergänzen.' Zehn Thesen haben er und Cisik formuliert, um auf mögliche Ursachen für das Führungsdefizit hinzuweisen. Ge­­kürzt lauten sie:
  • Es führen überwiegend die Falschen, das heißt, diejenigen, die zwar fachlich stark, lange dabei, besonders durchsetzungsstark oder auch hinreichend anpassungsbereit sind, aber zu wenig soziale Kompetenz, Em­­pathie und Reflexionsfähigkeit haben.
  • Es fehlen echte Alternativen zur Führungslaufbahn: Fachlaufbahnen, die Führungslaufbahnen in Entlohnung und Image vergleichbar sind.
  • Führung fehlt Vertrauen.
  • Führung ist zu deutsch.
  • Führung ist zu männlich.
  • Führung ist zu konventionell, das heißt, denkt zu wenig über den Tellerrand, lässt zu wenig Querdenkertum zu.
  • Führung mangelt es an Konsequenz und Klarheit.
  • Führungserfolg kann man nicht garantieren.
  • Führungsversagen hat zu selten Konsequenzen.
  • Führungskompetenz ist nur bedingt er­­lernbar.

Am falschen Baum gebellt?


Im Internet kam die erwünschte Debatte ins Rollen. Insbesondere FAZ.net, die Internet­repräsentanz der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, nahm sich des Themas an, veröffentlichte Artikel, Kommentare, Lesermeinungen dazu. Das meiste davon: Zustimmung. Aber auch Kritiker meldeten sich zu Wort. Beispielsweise Christian Scholz. Zwar ist auch der Professor für Betriebswirtschaftslehre und Personalmanagement an der Universität Saarbrücken der Ansicht: 'Es gibt in Deutschland ein Führungsdefizit.' Doch Scholz ist gleichzeitig überzeugt: Cisik und Sauer bellen in entscheidenden Punkten am falschen Baum, machen falsche Ursachen für das Problem verantwortlich.

Vor allem die These, dass Führung deshalb schlecht sei, weil hauptsächlich orientiert an Fachkompetenz befördert werde, hält Scholz für spekulativ. 'Wenn überhaupt, wird eher zu wenig auf die Fachkompetenz geachtet', kontert der Wissenschaftler. Schließlich laute das Credo bei Einstellungen und Beförderungen ab einem bestimmten Führungsniveau: 'Darauf kommt es auf dieser Ebene nicht mehr an.' 'Genau das aber könnte das Problem sein', so Scholz. Sein Verdacht: Sich darauf zurückzuziehen, dass Beförderungen unter Konzentration auf Fachkompetenz das Problem seien, sei schlicht bequem für alle Beteiligten – und schmeichelhaft für die Führungskräfte. 'Bloß, einen Beleg dafür, dass es wirklich so ist, den gibt es nicht', betont der Forscher.

Einen harten Beleg dafür, dass Fachkompetenz im Beförderungsprozess zu kurz kommt, gibt es freilich auch nicht. Was es aber gibt: Hinweise darauf, dass oft etwas Drittes eine Rolle spielt, nämlich Seilschaften, Netzwerke, persönliche Egoismen. Aus Scholz’ Sicht: Ein Manko, dass dies im Thesenpapier nicht angesprochen wird. Cisik und Sauer halten sich dagegen für alles andere als auf diesem Auge blind. 'Immerhin sagen wir, dass man fachlich stark, lange dabei, besonders durchsetzungsstark oder auch hinreichend anpassungsbereit sein muss, um aufsteigen zu können', so Cisik. 'Die Konsequenz aus unseren Thesen wäre ja gerade eine Entschärfung dieser Mechanismen, weil wir sagen: Die Karrierewege müssen transparenter gestaltet werden und an nachvollziehbare, klare Kriterien geknüpft werden', fügt Sauer hinzu.

Klare Kriterien fordert freilich auch Scholz ein. Nur: An dem Punkt ist auch schon wieder Schluss mit der Einigkeit. Denn die Antwort auf die Frage, was genau bei der Auswahl und Beförderung von Führungskräften geändert werden muss, hängt davon ab, was man als das aktuelle Problem identifiziert. Aus Scholz' Perspektive sind es Aspekte der fachlichen Kompetenz. Cisik und Sauer sind dagegen nicht nur überzeugt, dass man viel stärker als bisher auf die soziale Kompetenz eines Aufstiegskandidaten schauen muss, sie meinen auch: Man muss ermitteln, wer wirklich führen kann und will, wem man es also zutrauen bzw. beibringen kann. Sauer: 'Man muss analysieren, ob die erforderlichen Potenziale da sind.'

Das Talent zum Führen: Schimäre oder guter Anhaltspunkt?


'Wir meinen nicht, dass man Führungskompetenz qua Ge­­burt hat oder nicht. Selbst­verständlich müssen Unter­nehmen ihre Führungskräfte schulen', erklärt der Verbandschef. 'Aber wenn es am Talent und dem Willen zu führen fehlt, dann helfen keine noch so großen Anstrengungen. Aus dieser Person ginge noch lange keine brillante Führungskraft hervor.' Diese Einsicht sei wichtig, so Sauer. 'Denn Unternehmen drängen Mitarbeiter, die nicht die Intention zum Führen haben, viel zu häufig ohne Beachtung von Talent und Ambitionen in die Führungsrolle.'

Scholz dagegen findet, dass die Beschwörung einer wie auch immer gearteten genuinen Führungsdisposition ein Irrweg ist. Seine Meinung: 'Macht man es davon abhängig, ob sich je­­mand zur Führungskraft eignet oder nicht, bleibt man in der Be­­förderungspolitik weiterhin im Diffusen und wird sich schwertun, klare, belastbare Einstellungs- und Aufstiegskriterien zu benennen.' Besser wäre, da­­von auszugehen: 'Führung ist grundsätzlich lernbar. Und sich dann darum zu kümmern, dass die betreffenden Personen das entsprechende Rüstzeug bekommen. Das muss ja nicht immer auf den visionären Leader hinauslaufen', so Scholz. Schließlich gebe es viele Spielarten von Führung. Ein Argument für diese Sichtweise: Führung findet heute häufig alternierend statt: Wer in dem einen Projekt die Leitung innehat, ist im nächsten vielleicht nur Fachspezialist, im übernächs­ten wieder Leader. 'Die Trennung in Fach- und Führungskarrieren ist schon deshalb realitätsfern', findet der Professor.

Provokante Idee: Dem Personaler den Bonus streichen, wenn die Führung versagt

Wer ist auf der richtigen Spur? Wer läuft in die Irre? Die BPM-Argumentatoren sind fest entschlossen, in Kürze Belege für die Richtigkeit ihrer Thesen vorzulegen: Sie planen ein Herausgeberwerk mit Best-Practice-Beispielen, das zeigen soll, was in Unternehmen möglich ist, welche Potenziale sich auftun, wenn die von ihnen beschriebenen Fehler vermieden werden.

Scholz unterdes hat seine eigenen Vorstellungen, wie neuer Schwung in die Fahndung nach den tatsächlichen Ursachen des Führungsproblems kommen könnte: Diejenigen, die für die Einstellung und Beförderung von Führungskräften verantwortlich sind, müssten zukünftig persönlich stärker zur Verantwortung gezogen werden, wenn die von ihnen ausgewählten und beförderten Führungskräfte versagen. Scholz: 'Warum nicht in so einem Fall den Bonus des Personalchefs kürzen?'

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