Die Weiterbildner und die Ice-Bucket-Challenge

Lothar Seiwert hat es getan, Stefan Frädrich, Martin Limbeck und Gaby Graupner haben mitgemacht – sie alle haben sich einer freiwilligen Eisdusche unterzogen. Die sogenannte Ice Bucket Challenge hat seit Mitte August die Weiterbildungsbranche erreicht. Zig Weiterbildner haben sich an der viralen Spendenaktion zugunsten der Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) beteiligt. Doch inzwischen ist die Kampagne in ungutes Licht gerückt. Wer den vergangenen Monat nicht gerade Facebook-abstinent war, wurde von Ice-Bucket-Challenge-Videos geradezu überschwemmt. Dabei handelt es sich um eine Art modernen Kettenbrief: Per Social Media wird man nominiert, sich einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf zu gießen und danach drei Personen zu nominieren, die 24 Stunden Zeit haben, es einem gleichzutun. Will man sich der Eisdusche entziehen, soll man 100 US-Dollar bzw. 100 Euro an die ALS Association spenden.



Zu enormer Bekanntheit der Challenge führten vor allem prominente Aktionsteilnehmer wie Mark Zuckerberg und Bill Gates, die spendeten und sich trotzdem der Eisdusche stellten. Und so taten es auch viele Weiterbildner: Sie spendeten (berichteten es zumindest, manche posteten gar zum Beweis eine Spendenquittung) und kippten Wasser über ihr Haupt. „Die Elemente moderner Kommunikation entfalten bei der Ice Bucket Challenge ihre volle Wucht: eine leicht umsetzbare, virale Kampagne, die weltweite Kreise zieht. Mehr Aufmerksamkeit geht fast nicht“, beurteilt Petra Spiekermann, PR-Fachfrau aus Köln, die Aktion. Aus PR-Sicht zieht sie vor der Aktion ihren Hut: „Prominente, Emotionen, weltweite Solidarität. Dazu ein deutlicher Call to Action in jedem Video und alles für eine scheinbar gute Sache“, benennt Spiekermann die Erfolgsfaktoren. Und tatsächlich: Es sollen bereits über 100 Millionen Dollar an ALS gespendet worden sein. Auch dank dem Engagement von Trainern, Beratern und Coachs.



Doch die Aktion wird auch kritisch gesehen. Viele filmten ausschließlich, wie sie sich mit Wasser begossen, vergaßen aber – absichtlich oder nicht -, im Film auf die Krankheit aufmerksam zu machen. „Aus einer Idee, die eine ernste Angelegenheit humorvoll verpackt, wird ein verwässertes Internet-Phänomen, das von vielen letzten Endes nur ausgenutzt wird, um sich selbst in Szene setzen,“ schrieb die Frankfurter Rundschau bereits Mitte August. Freilich hatte die FR bei ihrer Aussage nicht die Weiterbildner im Blick. Doch auch von diesen müssen sich manche den Vorwurf gefallen lassen. „Es gab einen bunten Strauß von Reaktionen auf die Challenge. Freilich auch Videos, die reine Ego-Shootings waren und die Aktion rein zu Werbezwecken nutzten“, lautet die Beobachtung von Benjamin Schulz, Marketing-Experte aus Haiger.

Ob totale Selbstinszenierung oder Video mit Appell – die Weiterbildner – allen voran die Redner, geübt im Auftritt vor Publikum – ließen sich einiges einfallen, um sich auf ihre Art der Challenge zu stellen: Verkaufstrainer Martin Limbeck kletterte in Badehose in die Dusche, Motivationstrainer Slacto Sterzenbach zeigte sein Sixpack vor einem Swimmingpool im Süden, Schweinehundbezwinger Stefan Frädrich setzte sich ins Planschbecken, Marketingfachmann Ben Schulz legte die Schwimmflügel an, Verkaufstrainerin Gaby Graupner trug zum roten Dress Badehaube und Taucherbrille. Man konnte dabei Dachterrassen, Gärten, Duschen, Hotelzimmer, nackte Oberkörper, Trainingskleidung, nasse T-Shirts und viele nasse Haare bewundern. „Der Grat zwischen positiver Exposition und Exhibitionismus ist schmal“, urteilt Petra Spiekermann nach Durchsicht einiger Videos. Und ganz sicher auch Geschmackssache.

Nicht bei allen sind die Inszenierungen – angeregt durch das mediale Großereignis – gut angekommen. So gab es auch reichlich negative Postings von Weiterbildnern zu und über die Challenge: Manche mokierten sich über die Flut der Videos, machten sich lustig über die aktionistische Welle. Es gab auch Weiterbildner, die sich schlicht nicht beteiligen wollten. Etwa Anne Schüller, Expertin für Empfehlungsmarketing, die nominiert war, sich aber dagegen entschied. Auch Peter Brandl, bekannt für Bücher zum Entscheidungsverhalten, wollte sich zu nichts zwingen lassen. Er postete: „Schon meine Lehrer sind daran verzweifelt, dass ich nie das gemacht habe, was man mir gesagt hat. Zum Spenden müsst Ihr mich wirklich nicht auffordern. Das mache ich schon immer und sehr gern. Und das Eis bleibt da, wo es hingehört: im Glas!“

Für Benjamin Schulz von der Beratungsfirma Werdewelt gibt es ohnehin keinen Königsweg, auf die Ice-Bucket-Challenge zu reagieren. Seiner Ansicht nach liegt es im Ermessen des Einzelnen, auf die eigene Haltung käme es an. Pauschale Kritik an der Selbstinszenierung will er nicht gelten lassen. „Facebook ist Selbstinszenierung. Egal, ob jemand ein Foto vom Urlaub postet oder zur Ice-Bucket-Challenge Stellung bezieht“, meint der Sparringspartner vieler Coachs. Zu hoch will er die Eiskügel-Aktion in Sachen Positionierung auch nicht gehängt wissen: „Facebook ist in erster Linie eine Spielwiese, keine Business-Plattform: Tut doch nicht alle so erwachsen“, lautet sein Appell an die Kritiker. Weniger begeistert zeigt er sich indes von diejenigen, die unter dem Etikett Ice-Bucket-Challenge Videos produzierten, in denen sie sich bedeutungsschwanger dagegen aussprachen.

Petra Spiekermann, Expertin in Sachen Presse, warnt dennoch vor allzu unbedachtem Handeln beim Mitmachen. „Das Netz vergisst manches schnell und anderes nicht. Dem ein oder anderen wird sein Video später wiederbegegnen, wenn die Challenge längst vergessen ist. Und dann könnte peinlich wirken, was heute noch als Spaß für den guten Zweck verstanden wird. Manch einer wird sich dann wünschen, das Eis lieber im Glas gelassen zu haben.“

Spiekermann spricht an, was nach der ersten viralen Flut mehr und mehr an die Oberfläche sickert: Die Kritik an der Spendenorganisation ALS greift Raum. Von exorbitanten Managergehältern der Verbandsfunktionäre ist zu lesen, ebenso davon, dass zur Erforschung Tierversuche eingesetzt werden und die Organisation nicht gerade transparent operiert. Die eigentlich gut gemeinte Tat kann auch nach hinten loslegen. Leichtgläubig, uninformiert und unreflektiert? So will sich kein Weiterbildner der Öffentlichkeit präsentiert wissen.



Viele Weiterbildner haben allerdings ohnehin nicht an die ALS-Organisation gespendet. Sondern frank und frei die Aktion umgemünzt und gespendet, wohin immer sie wollten. Auch das kann man natürlich kritisch sehen. Trittbrettfahrer? Ganz sicher. Aber wer will sich ernsthaft aufregen, wenn sich Menschen Wasser über den Kopf gießen, um zum Spenden zu animieren? In dem Fall gilt wohl: Der Zweck heiligt die Mittel...

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Quelle der Videos ist YouTube. Nicht alle Challenge-Teilnehmer haben ihre Videos dort zur Verfügung gestellt. Die Auswahl orientiert sich daher an den dort publizierten. Die Interviewten Petra Spiekermann und Benjamin Schulz haben keinen namentlichen Bezug auf einzelne Protagonisten genommen und hatten keinen Einfluss auf die Bereitstellung der Videos.

Video 1: Gaby Graupner: The Lady in Red bewerkstelligte die Challenge in Englisch. Video 2: Gedächtnistrainer Oliver Geisselhart hatte Spaß an der Inszenierung. Video 3: Motivationstrainer Slacto Sterzenbach zeigte sich in Badehose und wandelte die Nominierung sowie den Empfänger.

07.09.2014
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